Die Fehler der Bundesregierung aus Sicht der Krisenkommunikation
In diesem Artikel geht es um Corona, aber nicht um medizinische Argumente, sondern um Kommunikation und Vertrauen.
Wenn ein Unternehmen eine kommunikative Krise, ausgelöst durch einen Shitstorm oder ein plötzliches Ereignis erlebt, gelten in der Krisenkommunikation Prinzipien, auf die ich vergleichend eingehen möchte.
#1 Wer soll angesprochen werden? Definition Zielgruppe und Personas
In diesen Tagen erleben wir eine massive Einschüchterungskampagne der Ungeimpften, das ist aktuell die Zielgruppe. Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder hat in einer österreichischen Talkshow aus meiner Sicht richtig formuliert, dass es sich hier um verschiedene Teilgruppen handelt, die man unterschiedlich ansprechen muss, wenn man ihnen die Impfung verkaufen will.
Das ist auch das was in einer Unternehmenskommunikation nicht falsch gemacht werden darf:
„DIE EINE“ Gruppe gibt es selten, es gibt Untergruppen. Und so wie wir auch nicht an „DIE KUNDEN“ verkaufen wollen, und demnach schon lange in verschiedene Personas unterteilen, so müssen wir das auch in der Kommunikation tun. Und ich gehe noch weiter: wir müssen versuchen zu verstehen, in welcher Situation / Ausgangslage sich unsere Personas befinden und welchen Informationsstatus sie haben. Im Grunde wie im Sales Funnel.
Daraus folgt: unterschiedliche Maßnahmen der Überzeugungsarbeit für unterschiedliche Personenkreise.
Eine Gruppe wird aktuell vergessen, weil sie nahezu keine kurzfristige Rolle spielt, aber langfristig durchaus: die Geimpften. Was in anderen Ländern wie Norwegen, Italien oder Tschechien scheinbar inmitten der Impfkampagne klar war, weshalb impfwillige Menschen sich bereits zum dritten Mal in diesem Jahr mit externem Immunschutz versehen ließen, sickert in Deutschland erst so langsam durch: der Schutz vor Ansteckung aktuell in Deutschland verfügbarer Impfstoffe hält etwa 4 – 5 Monate. Es ist also in der Gruppe der Geimpften mit einem Vertrauensverlust in die Aussagen der Regierung zu rechnen. Kritisch ist dies für die Politik deswegen, da gerade in dieser Gruppe die meisten Befürworter der Regierungsmaßnahmen zu vermuten sind.
#2 Verständnis: Menschen ernst nehmen
Ich recherchiere seit Beginn der pandemischen Maßnahmen regelmäßig international und verlasse mich dabei nicht auf die Berichterstattung in den Tagesmedien und neuen Medienportalen, sondern versuche selbst an Originalstudien und -aussagen zu kommen. Das ist manchmal mühsam zu sichten, jedoch sind die Fakten wiederum ganz einfach zu kriegen – Hospitalisierungsraten, Belegung Intensivbetten, RKI- und Paul-Ehrlich-Institut-Informationen, Studienergebnisse o. ä. sind dokumentiert. Aber es gab Zeiten, da fühlte ich mich nicht klüger, sondern verwirrter und hätte in einer Diskussion über Corona-Maßnahmen für jedwede Seite der Argumentation auftreten können.
Damit will ich sagen: Die eine Wahrheit kennen wir hier offensichtlich nicht, denn die Studienlage ist international betrachtet sehr volatil. Außerdem ist Studie nicht gleich Studie, hier kann es schon allein in den Vorgaben deutliche Unterschiede geben.
Wichtig aus Sicht der Kommunikation: die eine Wahrheit gibt es nicht.
Es hilft deshalb nichts, wenn Politiker mit ihrer Macht Verordnungen erlassen und die Menschen und deren Argumente nur vom Tisch wischen. Druck erzeugt Gegendruck.
In Unternehmen oder Abteilungen, die so geführt werden, entsteht ein Problem, denn Menschen möchten ernst genommen werden, sie möchten ihre Argumente vortragen dürfen. Wenn sie dies nicht offen in den dafür angesetzten Besprechungen tun können, tun sie es in der Kaffeeküche und es bilden sich Grüppchen. Diese später zu identifizieren und aufzulösen ist erheblich schwerer, als sich vorneweg mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen.
#3 Begrifflichkeiten überlegt wählen
Aggressive Begriffe und Phrasen wie „Tyrannei“ oder „unter Beschuss halten“ sind wohl zu überlegen. Sie zeugen von Wut und Hilflosigkeit.
Für Politiker ist wie für Unternehmenslenker der Eindruck der Souveränität ein hohes Gut, denn dieser Eindruck geht mit Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit einher. In der Krisenkommunikation eines Unternehmens wird zu Recht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.
Pauschales Diffamieren von Fachleuten anderer Meinungen schädigt die Debatte und ist ebenso nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit gegenüber der Argumentation des anderen. In keiner Diskussion gewinnt derjenige die Deutungshoheit, der andere nur verunglimpft, sich den Argumenten jedoch nicht stellen will.
Eine zu vereinfachende Sprache ist bei einem derart komplexen Thema ebenfalls keine gute Wahl. Die Menschen möchten sich nicht als Kleinkind behandelt fühlen, sondern als ernstzunehmende Bürger.
Kürzlich las ich in einem Forum einer überregionalen Tageszeitung den Kommentar einer Leserin, dass man doch bitte aufhören solle, bei der Booster-Impfung immer nur von einem „dritten Pieks“ zu reden, es handele sich schließlich um einen medizinischen Eingriff mit einem Arzneimittel und die Leser wären ja nicht doof. Der Redakteur entschuldigte sich daraufhin im Forum und gab der Leserin Recht.
#4 Offene Kommunikation, Fehler zugeben
Die Politik hat durch ihre Kommunikation die Menschen im Glauben gelassen, eine Impfung wäre eine Ritterrüstung, unter der ihnen nichts mehr passieren kann. Möglicherweise hat sie es selbst glauben wollen, oder die Studienlage war damals so, das mag ich nicht beurteilen.
Entsprechend jedoch haben sich viele Menschen unbekümmert verhalten. Nun wäre es an der Zeit zuzugeben, dass man sich im Ausmaß des Schutzes geirrt hat. Der Sache nicht zuträglich ist es, die beschriebene Wirkung der Impfung auf den Webseiten des Paul-Ehrlich-Institut und des RKI innerhalb von ein paar Wochen 2 x herabzustufen, dies jedoch wiederum nicht offen zu kommunizieren. Mittlerweile dürften die Charts jeden erreicht haben und sie hinterlassen ein flaues Gefühl, oder?
Heutzutage haben es Politiker auch wirklich schwer, denn nahezu jede Aussage ist im Original auch für uns Bürger/innen recherchierbar, da in Bild oder Ton auf irgendeinem Kanal festgehalten, das Bedürfnis zur Exposition auf Twitter hilft ebenso bei der Recherche. Und so frage zumindest ich mich: was soll das, wenn vor einigen Monaten behauptet wird: „wenn jedem Bürger ein Impfangebot gemacht wurde, können wir zur Normalität in allen Bereichen zurückkehren“ und man nun so tut als hätte man das nie gesagt. Es bedarf hier einer Erklärung mit entsprechender Verbreitung, warum man sich geirrt hat (ich unterstelle keine Absicht, denn sonst wären wir in einer ganz anderen Diskussion), wenn man möchte, dass die Bürger/innen Entscheidungen mittragen.
Ein TV-Beispiel: Die SPD-Abgeordneten kommen im Corona-Allzeithoch für ein innerräumliches Gruppenfoto zusammen, ohne Abstand, ohne Maske. In einer Talkshow darauf angesprochen gibt sich Karl Lauterbach der Lächerlichkeit preis, als er das Verhalten kleinredet, der nächste Ausschnitt gezeigt wird, er wieder kleinredet usw. Damit wurden aus einem sekundenlangen Bildausschnitt Minuten der Darstellung. Er hätte gut daran getan, dieses Fehlverhalten kurz zuzugeben und sich nicht stammelnd weiter reinzureiten.
Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut. Einen Fehler verzeihen Menschen eher, wenn er eingestanden wird.
#5 Emotionen beruhigen
In der Krisenkommunikation eines Unternehmens der wichtigste Punkt. Wenn die Emotionen hochkochen, und sie köcheln gerade laufend, hören wir Menschen keine Argumente.
Eine der ersten Aktionen der Krisenkommunikation ist es daher immer, Emotionen zu beruhigen.
Ein passendes Beispiel sind die meist sehr gut geschulten Hotline-Mitarbeiter von Telefonanbietern, Banken usw., die kleine persönliche Krisensituationen mit dem Unternehmen handeln.
Wenn Sie dort voller Wut, weil Ihr Zugang nicht klappt, anrufen, werden Sie genau das erleben: der oder die Mitarbeiterin hört Ihnen zu, zeigt Verständnis und beruhigt sie. Das ist sogar bei mir mal gelungen, als ich vermutlich nur durchgestellt wurde, weil ich die Computerstimme der Telekom nach vielen Versuchen und Minuten, nun, angeschrien habe. Als ich endlich eine leibhaftige Person am Apparat hatte, war mein Puls noch immer hoch, aber die Mitarbeiterin schaffte es, mir zu vermitteln, dass sie mein Anliegen ernst nimmt und allein das hat mich beruhigt.
Wie beruhigt man in der Krisenkommunikation Menschen? Da waren wir bei Punkt #2: Zuhören, Verständnis zeigen. Erst dann werden sie offen für Argumente.
Ein absichtliches Aufstacheln von Emotionen in einer undurchsichtigen Faktenlage, wie zu Beginn der Pandemie mit dem Kommunikationspapier der Regierung initiiert, das Kinder zu Schuldigen macht, wenn die Großeltern sich anstecken und sterben, halte ich als Mensch für unwürdig und aus Kommunikationssicht für einen Tabubruch und schwerwiegenden Fehler.
#6 Glaubwürdigkeit und Vertrauen
Vertrauen entsteht durch Glaubwürdigkeit, es entsteht bei Personen im Kontext mit dem was sie tun und wie sie sich zu bestimmten Themen äußern.
Wenn Aussagen und Handlung mehrmals hintereinander nicht übereinstimmen, wird die Glaubwürdigkeit beschädigt.
In der Politik ist es wie in einem Unternehmen: Wer häufig etwas ankündigt, was dann nicht eingehalten wird, verspielt Vertrauen auf lange Zeit.
#7 Argumentation und Diskussion
Es wird Zeit für eine ergebnisoffene Diskussion und Berichterstattung von Vor- und Nachteilen der Lockdown-Maßnahmen, der angebotenen Impfstoffe, der Klinik-Arbeitsbedingungen und Intensivbettensituation der letzten 10 Jahre, der Teststrategie usw.
Wie viel Zeit und Mühe wäre gewonnen und wie stark würde sich die Bereitschaft für zukünftige Maßnahmen ändern, würde man als Politik offen darlegen, dass man sich täuschen kann. Wir Menschen irren, wir wollen glauben was gut klingt. Geben wir es zu.
Schwierig ist die Kommunikation von Impfnebenwirkungen, deren Dokumentationen zu weltweit unterschiedlichen Impfeinschränkungen führten.
Es ist in jedem Fall kommunikativ nicht geschickt so zu tun, als wären Nebenwirkungen einfach nur eine zu vernachlässigende Zahl. Dies kann aus statistisch begründbaren Informationen so sein, aber die Fälle sind da und sollten diskutiert werden dürfen, denn die Zahl ist emotional hochaufgeladen. Werden sie es nicht, bereitet man den Boden für Spekulationen.
Wenn sich ein Unternehmen auf die Auswahl von Fakten beruft, die seinem Wohl zuträglich sind, andere jedoch ignoriert, verspielt es seine Glaubwürdigkeit und es besteht die Gefahr, dass sich die Fronten verhärten.
Unwissenheit darf man zugeben. Einem Unternehmen, das noch nicht genügend Informationen zur Krisenlage gecheckt hat, ist zu raten, dies zu tun, bevor es sich mit Statements an die Medien wendet. Und wenn Medienvertreter mit Fakten kommen, die man selbst nicht kennt, gilt, dass man nachfragen sollte: „woher haben Sie diese Informationen, wer behauptet das, wir prüfen“.
Das gilt übrigens nicht nur für die Politik und nicht nur für Unternehmen, es gilt auch für uns in privaten Diskussionen.
Eine gute Diskussion enthält nicht nur Sätze, die mit „nein!“ oder „ja, aber“ beginnen, sondern vor allem Sätze, die mit „das wusste ich noch nicht, woher hast du das“ oder mit „bei diesem Punkt hast du recht und ich verstehe dich, allerdings ist es ja auch so, dass …“ starten.
#Und jetzt? Mein kleines persönliches Plädoyer
Was uns helfen würde, ist Offenheit und Respekt, Zugeständnisse bei Fehlern, und das Eingeständnis, dass keiner von uns die Wahrheit gepachtet hat, sondern dass wir handeln, hoffen das Richtige zu tun, die Handlung ggfs. anpassen und nur gemeinsam aus dieser Krise rauskommen.
Dazu vielleicht noch: Ich bin nicht naiv, ich weiß, dass und wie Interessen vertreten werden, von vielen Seiten. Und nicht alle würde ich persönlich vertreten wollen. Aber so wie es gerade läuft, läuft es gar nicht. Und unsere Gesellschaft droht sich zu spalten, inmitten von Familien, Freunden, Kollegen. Deutschland im Jahr 2021? Wer hätte das für möglich gehalten.
Wäre es nicht ungeheuer schade, wenn wir zurückblickten und feststellten, dass wir uns inmitten dieser Herausforderungen als Menschen verloren haben, obwohl wir uns eigentlich alle das Gleiche wünschten?
Die Streitlust darf uns bleiben, wir dürfen in der Sache hart diskutieren – aber im Ton sollten wir verbindlich, problemlösungsorientiert und gute Umgangsformen verinnerlichend argumentieren.
Das sollten wir auch deshalb tun, weil Corona irgendwann, und jetzt komme ich mit einer Statistik zu den schlimmsten Virenerkrankungen der letzten Jahrzehnte und meiner persönlichen Hoffnung, wieder nur eine harmlose Erkältung sein wird und wir uns anschließend in die Augen blicken und hoffentlich auch umarmen wollen.