Die TikTok-Taktik

Letzte Woche fand vor dem US-Kongress eine Anhörung zu chinesischer Spionage und Einflussnahme via TikTok statt. TikTok kämpft darum, in den USA nicht verboten zu werden.

TikTok Wassenberg

TikTok ist für Teenager – so der offizielle Grundtenor. Rainer Grill hat andere Erfahrungen gemacht: Der Leiter Öffentlichkeitsarbeit beim Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg betreibt mit einigen Kolleginnen und Kollegen einen TikTok-Kanal mit über 100.000 Followern. Er berichtet von Aufmerksamkeit, Reichweite und Zuschriften von Bewerbern, die deutlich jenseits der Teenager-Marke liegen. Kein schlechtes Ergebnis für ein Traditionsunternehmen aus Baden-Württemberg.

TikTok ist eine App mit täglich über 800 Millionen Nutzern. Mit wenig Aufwand kann man kurze Videos erstellen und mittels LipSync-Technologie mit Musik unterlegen. Der Börsenwert lag im Mai 2020 bei über 100 Milliarden US$. In seinem Ursprungsland China ist TikTok dafür völlig unbekannt: Der 2012 gegründete Mutterkonzern ByteDance bietet in China eine Alternative namens Douyin an – mit ähnlichen Funktionen, aber deutlich anderer Ausgestaltung. Ganz nebenbei ist ByteDance ein weltweit führender Nutzer von AI und Machine Learning, der Börsenwert lag im Mai 2022 bei über 100 Milliarden US$.

Dass China den Datenverkehr und somit Douyin einer strengen Zensur unterzieht, ist kein Geheimnis. Dass sich die beschränkenden Algorithmen auch in den angeblich unabhängigen Pendants der westlichen Welt ausweiten, hat dann doch einige überrascht. Auf netzpolitik.org kann man eine Vielzahl von belegten Vorwürfen nachlesen: Einschränkungen der Reichweite, Datenweitergabe und Verbreitung erwünschter Inhalte sind nur einige davon. Vorwürfe von Joe Rogan über gezielte Landesfilter haben sich indessen nicht erhärtet: Der amerikanische Blogger behauptet, in China würden hauptsächlich wissenschaftliche Videos verbreitet, wogegen die amerikanische Bevölkerung gezielt mit inhaltsleeren Tanzvideos gezielt verdummt würde. Das Geschäftsmodell von TikTok (und Douyin) ist aber darauf ausgelegt, dass Nutzer selbst über die angezeigten Inhalte entscheiden können. Eine Zensur findet natürlich trotzdem statt. Und: auf Douyin wird der Zugang für Kinder und Jugendliche automatisch nach 22 Uhr abgeschaltet und auf maximal 40 Minuten pro Tag limitiert – ein Filter, der in der westlichen Variante nicht existiert.

Medienberichten zufolge gab TikTok-Chef Shou Zi Chew letzte Woche das Versprechen ab, dass TikTok eine Plattform für freie Rede bleibe, ohne dass irgendeine Regierung irgendwie Einfluss nehmen könne. Kritiker fragen wiederum, ob man einem chinesischen Konzern mit starkem Einfluss der Kommunistischen Partei sein Vertrauen und seine Daten überlassen möchte.

Allerdings sollten wir Mediennutzer uns auch bewusst machen, dass jede Plattform von Zensur, Datenabfluss, Einflussnahme und beliebiger Einschränkung betroffen ist – nur in unterschiedlicher Art und Weise.

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